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1. Neue Landeskunde des Königreichs Württemberg - S. 33

1911 - Stuttgart : Holland & Josenhans
— 33 — den Kasernen der Stadt ist die große Insanteriekaferne an der Rotebühlstraße die größte. Auf einer Halbinsel des Feuersees erhebt sich die schönstgelegene Kirche Stuttgarts, die herrliche Johanneskirche. Unter den katholischen Kirchen ist die gotische Marienkirche die schönste. Stuttgart ist aber auch eine Stadt der Schulen. Neben vielen Volks- und Mittelschulen hat es höhere Mädchenschulen, Realschulen, Gymnasien, eine Baugewerkschule, eine technische Hochschule, eiu höheres Lehrerinnenseminar, eine tierärztl. Hochschule, ein Konservatorium für Musik, eine Kunstschule, eine Kunstgewerbeschule, Handelsschulen, eine Fraueu- arbeitsschule usw. Außerdem dienen der Geistesbildung die Theater, allen voran das Königl. Hoftheater, die verschiedenen wissenschaftlichen Gamm- lungen, die vielen, namentlich winters stattfindenden Konzerte, Vorträge usw. Stuttgart hat ferner eine bedeutende Industrie. Es ist zwar keine rußige, rauchumnebelte Fabrikstadt, doch hat es bedeutende Maschinenfabriken, Trikotwebereien, viel Möbelindustrie und Klavier- fabrikation. Außerdem ist Stuttgart der größte Buchdruck- und Buchhandels- platz Süddentfchlands. Für deu Verkehr war Stuttgarts Lage in einem abgeschlossenen Tal- kessel wenig günstig. Die Stadt verdankt ihr Emporkommen rein der Fürsorge der württ. Landesfürsten und der Rührigkeit ihrer Bewohner. Durch Tunnels führen die wichtigsten Eisenbahnen des Landes herein: die württ. Hauptbahn von Bretten nach Ulm und Friedrichshafen, die Gäu- bahn, die Schwarzwaldbahn, die Remsbahn, die Murrbahu, die obere und die untere Neckarbahn. Den Verkehr mit der Filderebene vermittelt die Zahnradbahn nach Degerloch. Elektrische Bahnen durchkreuzen die Stadt nach allen Richtungen und führen auch iu die Vororte hinaus. Läugst schon reicht der Hauptbahuhof, auf dem täglich mehr als 200 Personenzüge ein- und ausfahren, für den gewaltigen Verkehr nicht mehr, weshalb ein neuer, größerer Bahnhof im Ban ist. Die 280000 Einwohner brauchen täglich eine Menge von Lebensmitteln, die vom Gän, vom Langen Feld und Schmidener Feld, von der Filderebene, dem Neckartal und noch Weiterher nach Stuttgart kommen. Stuttgart ist eine gnte Absatzstelle für das ganze Land. Erzeugnisse der Industrie kommen nach Stuttgart herein, und um- gekehrt werden Stuttgarts Industriewaren hinaus verschickt. Die Eisen- bahneil bringen aus allen Himmelsgegenden die Rohstoffe (Eisen, Holz, Baumwolle usw.) sür die Fabriken, und Tausende von fleißigen Arbeitern und Arbeiterinnen kommen in der Morgenfrühe ans der ganzen Umgegend Stuttgarts zur Arbeit iu die Fabriken und kehren spät abends ermüdet heim. Stuttgart ist der Mittelpunkt für das Erwerbs- und Verkehrs- leben Württembergs. 3. Der Strom- und Heuchelberg. a) Die Landschaft: Nördlich von der untern Enz erheben sich zwei fast gleichlaufende Hügelzüge, die durch das fruchtbare Zabergäu getrennt find, südlich von diesem der Stromberg, nördlich der Heuchelberg. An der Westgrenze Württembergs, bei Sterueusels, kommen sie ganz nahe zusammen; der Stromberg zieht von hier nach Osten, der Heuchelberg nach Nordosten. Der durch Neckar, Zaber und Enz begrenzte Stromberg endigt im Osten mit dem von einer Wallfahrtskirche gekrönten Michelsberg bei Bönnig-

2. Kriegsbuch für die Jugend und das Volk - S. 114

1916 - Stuttgart : Franckh
114 er gab dem Russen das größere Stück davon uno behielt das kleinere. „Nun bist du mein Gefangener," sprach er, „Da muß ich dich wohl füttern." Er selber aß auch ein paar Bissen und nahm einen Schluck aus Der Feldflasche. Davon aber bekam der Kosak nichts ab, soweit sich auch die Nasenflügel in feinem flachen bärtigen Gesicht blähten und so glänzig seine kleinen listigen Augen leuchteten. Während so die Menschen ihr Frühstück verzehrten, dursten die Tiere nicht darben. Der Schimmel erhielt den Rest eines Heubündels vorgelegt, und der Teckel sollte sich mit einer Brotrinde begnügen. Aber der Hund war ungnädig gelaunt: er nahm nichts. Als ihm gar der Russe zu nahe kam, fing er tükisch zu knurren an, so daß man unter den gefletschten Lefzen die weißen fpitzen Zähne sah. Zuerst war der Russe mit der Mahlzeit fertig, danach der Schimmel, zuletzt Peter. Er reichte die letzten Brotbrocken auf der flachen Hand dem Pferde hin, klopfte ihm den Hals und sagte: „Nu, dann wollen wir's mal wieder versuchen!" Der Schimmel hatte sich ausgeruht, und ein wenig rascher als tags zuvor kam der Wagen vorwärts. Aber die Freude konnte nicht lange währen, es war nun einmal unmöglich, daß ein Pferd auf die Dauer die Last von der Stelle brachte. Der Kosak griff bei allen Hantierungen hilfreich zu. Mit einer wahrhaft sklavischen Unterwürfigkeit, die den wackeren Peter fast ein wenig anwiderte, nahm er ihm, leicht begreifend, ja vorausahnend, die Verrichtungen ab, und als sich das Gefährt in Bewegung fetzte, stürzte er sich sofort aus den Schimmel, um ihn mit wilden Zurufen, mit Faustschlägen und Knüffen anzutreiben. Grins verwies ihm fein wüstes Betragen mit drohenden Gebärden. Da hatte der Russe einen Einfall. Er strahlte mit einem Male vor Freude übers ganze Gesicht, hob zwei Finger zum Mund und pfiff gellend gegen den Wald hin. „Alle Wetter!" dachte Peter. „Er pfeift feinen Leuten. Jetzt wird's ernst." Und er riß den Karabiner von der Schulter. Aber der Russe winkte begütigend, pfiff noch einmal, und gleich darauf trabte im lichten Holz zwischen den Stämmen ein Gaul heran, wieherte hellauf und setzte über den Graben. „Oh, ein Pferdchen!" sagte Grins. „Das ist aber mal ein besonderes Vieh!" Je länger er sich das Tier besah, desto komischer kam es ihm vor, und schließlich schlug er eine laute herz- hafte Lache an: „Das ist ja ein Pferd in ein Kalbfell eingenäht!" „Ist das deines?" fragte er den Kosaken. Der Russe grinste stolz und nickte. Zum Beweis schnalzte er auf eine eigentümliche Art mit der Zunge, sogleich lag der Gaul auf den Knien, den Kopf längs der Erde gestreckt. Er schnalzte wieder, — das Tier sprang auf und schüttelte sich unter dem schäbigen Sattel. Peter lachte ein bißchen und lobte: „Ein kluges Pferdchen!" Aber für derlei Kunststück-chen hatte er eigentlich wenig übrig, so was mutete ihn läppisch an. Da führte der Kosak den Gaul an die Deichsel und suchte dem Deutschen auf allerhand Weise begreiflich zu machen, daß das Tier ja vor den Wagen gespannt werden könne. Daran hatte Grins nun allerdings nicht gedacht. Aber der Vorschlag leuchtete ihm ein. Der Gaul war so klein und unansehnlich, dazu beispiellos struppig, abgemagert und vernachlässigt, er steckte auch in einem ganz verbotenen rotgescheckten Fell, aber hatte er nicht vier Beine? Das Kummet des erschossenen Handpferdes war ihm natürlich viel zu groß, aber Peter wußte Rat. Während dem armen verhungerten Schecken ein Futterbeutel borgehangen wurde, knüpfte er, ganz wie er es bei den Wrangelkürassierein gelernt hatte, ans dem Hinterzeug des toten Schimmels und ein paar Bindesträngen ein Sielengeschirr zurecht. Der Kosak verstand sogleich, woraus die Arbeit hinauswollte, und erwies sich dabei so flink" und gewandt, daß Peter mit dem Gedanken spielte, dem armen Teufel zur Belohnung einen Schluck aus der Flasche zu gönnen. Aber er ließ es zuletzt doch bei der guten Absicht bewenden. Der Russe scharwenzelte ihm allzu demütig, und vor allem — das konnte Peter am wenigster: vertragen, — behandelte er feinen Gaul schlecht. Ging das Tier nicht sogleich beiseite, wurde es mit dem Stiefel gegen den Leib getreten, und gar früher mußte der Scheck grausam mißhandelt worden fein. Er sah schrecklich aus: am ganzen Körper, selbst am Kopfe, war er mit Striemen bedeckt, der Kerl hatte ihn sogar über die Augen geschlagen, zur schlimmen Letzt aber war das Fell am rechten Hüftknochen wie eine Hand so groß abgeschunden, dort waren die Knntenhiebe auf das rohe blutige Fleisch geführt worden. Grins wies finster auf die Stelle und drohte dem Russen mit der Faust. Der aber wehrte ab, als wollte er sagen: „Das macht nichts, das heilt schon wieder!" Es war ein seltsames Paar: der stattliche derbe Brauerschimmel mit seinem glatten Fell

3. Kriegsbuch für die Jugend und das Volk - S. 161

1916 - Stuttgart : Franckh
Siebzehn Rerter. von Reinhard weer. Mit i Abbildung. Der junge Leutnant Varrendorf, Ordonnanzoffizier bei einem Brigadestab, war mit zehn bayerischen Ulanen und sechs berittenen preußischen Artilleristen seines Regiments nach einer nordfranzösischen Stadt vorgeschickt worden, um Me Behörden von der Ankunft der deutschen Truppen zu benachrichtigen und für deren Unterkunft in Kasernen und Schulen Sorge zu tragen. Die Stadt war, wie Kavalleriepatrouillen gemeldet hatten, vom Feinde geräumt; kein Soldat -verteidigte ihre grünen Wälle. Sie ritten in flotter Gangart, der junge Offizier und seine sechzehn Mann, trabten dröhnend durch das unbewachte Stadttor. Im Schritt ging's enge Straßen entlang, in denen sich viel Volk zeigte, gutgekleidet und vergnügt, als wisse man nichts von Krieg und Kriegsnot. „Donnerwetter, Kerls," sagte Varrendorf, sich im Sattel wendend, „hier. gibt's mal seines Quartier. Schau, schau, da sind ja auch Mädels, und sehr hübsche sogar," fügte er im stillen hinzu. Seine Leute, die mit den Augen auch nicht müßig waren, machten dieselbe Feststellung. Die preußischen Feldartilleristen grinsten vergnügt, ritten sehr stolz und aufrecht hinter ihrem Leutnant, den sie abgöttisch liebten, einher. Die Bayern scherzten ausgelassen. „Hier gibt's a Mordsg'spoaß!" meinte einer. Sie wurden laut, und Varrendorf rief sie zur Ordnung. Dafür war er Preuße. Eigentlich eine vorzügliche Mischung, •Me Leute, die ich hier führe, dachte er: so korrekt pflichttreue Norddeutsche und vergnügt draufgängerische Gebirgler. Aber er kam mit dem Gedanken kaum zu Ende, als ein Zuruf aus einer Gruppe junger Müßiggänger feinem Sinnen eine andere Richtung gab: „Hourrah, les Anglais!“ Das wird ja immer sonderbarer, dachte er. Seltsam traumhaft kam ihm alles vor. Er grüßte nach den Leuten hin und ließ ein kurzes Sachen aufflattern. „Haben Sie das gehört, Poschlin-ger?" Der Vizewachtmeister der Reserve trieb seinen Braunen neben den des Offiziers. „Sie halten uns wahrhaftig für Engländer," sagte er ernst. — Ein wenig später hielten sie auf dem großen, quadratischen Hof des altertümlichen Rathauses, saßen ab und schnallten Trensen und Kandaren los, um ihre Pferde aus dem flachen Brunnen zu tränten, dessen leises Plätschern in der steinernen Kühle des Hofranms widerhallte. Ein alter Stadtdiener in schwarzer Uniform trat aus einer -dunklen Stube im Erdgeschoß und fragte Varren-M. Kriegsbuch Vil 1915116. 10. dorf nach feinem Begehr. „Ich möchte den Herrn Bürgermeister sprechen." Der Mann wurde plötzlich sehr diensteifrig. „Ah, ich verstehe, mon Commandant, wir erwarten Sie schon." Der Offizier wußte sich das nicht zu deuten, beschloß aber aus alle Fälle, sich in dieser an Seltsamkeiten und Überraschungen anscheinend sehr reichen Stadt das Verwundern abzugewöhnen. Er folgte dem Alten die teppichbelegte breite Treppe hinauf, die zu den Arbeitszimmern des Bürgermeisters führte. Zwei Unteroffiziere, der eine Artillerist, der andere Ulan, gingen mit, um oben vor der Tür des Sprechzimmers Posten zu fassen. Das Stadtoberhaupt erwies sich als ein älterer Herr von schlankem, aristokratischem Äußern und sehr gemessenem Benehmen. Der junge Deutsche saß ihm am Schreibtisch gegenüber, der voller Bücher und Papiere lag, und trug feine Wünsche vor. Der andere musterte ihn mit großen, aufmerksamen Augen, die seltsam glänzend aus dem kränklichen Gesicht schauten, hörte ihn ruhig an, ließ nur am Artfang eine erstaunte Bemerkung über das gute Französisch des Offiziers fallen. Als dieser geendet, saßen sie sich eine Weile stumm gegenüber. Der Maire schien über d'as Gehörte nachzudenken. Auf einmal sagte er, sich vorbeugend, leise, aber mit Betonung: „Mon lieutenant, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß französische und englische Truppen in der Stadt sind." Varrendorf mußte zweimal mit der Hand unter den Kragenrand greifen, der ihn plötzlich drückte. Aber ganz ruhig und beherrscht kam seine Frage heraus: „Franzosen und Engländer? Sie setzen mich in Erstaunen! Können Sie mir sagen, wieviel Truppen hier sind?" Der Bürgermeister sah ihn groß an, etwas mitleidig, wie es schien. „Ich weiß es nicht, mon lieutenant, sie sind gerade erst angekommen. Aber ich habe Kanonen gesehen. Man hat sechzig Quartierzettel für Offiziere verlangt." Und dreimal wiederholte er, sich nervös die Knie reibend: „J’ai vu des canons!“ Wieder saßen sie sich für einen Augenblick stumm gegenüber. So seltsam habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht geträumt, dachte der junge Offizier; er mußte sich erst über die Augen fahren, um sich von der Wirklichkeit des Geschehens zu überzeugen. Die lange, blutleere Hand des alten Mannes ihm gegenüber spielte mit einem silbernen Papiermesser, und dicht daneben stand das Tischtelephon. Varrendorf sagte 11

4. Kriegsbuch für die Jugend und das Volk - S. 138

1916 - Stuttgart : Franckh
138 Das Haus sehe ich mit allen Einzelheiten noch genau vor mir: ein Wohngebäude; die Haustür führte in eine große Stube, in der sich ein Kamin, Tisch und Stühle und ein offenstehender Küchenschrank befanden, eine zweite Tür gleich links beim Eingang führte in ein kleines Zimmer, das wohl als Schlafzimmer gedient hatte; ein Bett, ein Schrank, ganz dnrchwühlt, standen darin. Von der großen Stube aus ging eine Tür in einen kleinen, fast dunklen Raum, von dort aus konnte man mittelst einer Leiter auf den Boden gelangen. Ein Fensterchen (25 x 15 cm) in dem kleinen Raum öffnete sich nach dem Hohlweg zu. Aufgestapeltes Holz, ein Holzblock, ein Waschtrog, einige leere Kisten, ein Männerrock und ein Beinkleid waren das Inventar der Kammer. Gegenüber dem Eingang zur großen Stube führte eine-britte Tür in ein weiteres Zimmerchen mit Betten und Schränken. In der der Haustür gegenüberliegenden Stube hatten sich die zwei Infanteristen versteckt. Ich trug die beiden Bayern nun in die zweite, Stube links und legte sie dort auf die Erde. Daun verstellte ich die Tür mit dem Holzblock und dem Waschtrog, verriegelte sie. Eben wollte ich auf der Leiter zum Boden hinaufklettern, als dicht neben dem Haus eine Granate explodierte und die Sprengstücke durch das Fachwerkdach auf den Boden fielen. Ein Aufenthalt auf dem Boden war also zu gefährlich. „Wasser — Wasser, Kamerad," stöhnte der eine der Verwundeten. Ihre Feldflaschen waren leer, mir waren Brotbeutel und Feldflasche im Nahkampf abgerissen worden. Nichts konnte ich den vertzpurrdeten^Karneraden, die unter großen Schmer- 4 zen zu leiden hatten, geben. In demselben Augenblick hörte ich Schritte vor dem Haus. „Bleibt um Gotteswillen ruhig, nicht stöhnen, sonst sind wir verloren," konnte ich den Verwundeten noch zuflüstern. Gleich darauf waren die Schritte in der großen Stube. Ich sah durch den Türspalt: acht Engländer waren eingetreten; sie machten ihre Feldflaschen los, holten sich Wasser aus dem Brunnen vor dem Haus, setzten sich an den Tisch, öffneten ihre Konservenbüchsen, aßen, tranken und rauchten. Dann kamen noch mehr Engländer herein. Keiner sah sich aber weiter im Haus um. Ich hielt krampfhaft mein Gewehr umspannt und sah scharf durch den Türspalt, fest entschlossen, uns bis zum äußersten zu verteidigen. Im Notfall hatte ich ja noch meine Pistole, die letzte Patrone war für mich selbst bestimmt. So vergingen endlose drei Stunden. Plötzlich verließen alle Engländer das Haus. Ich kletterte nun die Leiter hinauf; durch das Bodenfenster konnte ich gerade noch den Hohlweg sehen bis zu der Stelle, bis zu der wir am Mittag vorgedrungen waren. Dicht an dem Haus stand ein Stall, aus dem man eine Ziege meckern hörte. Ein paar Schritt dahinter sing der Wald an. Hier schanzten die Engländer. Hinter ihnen standen drei Offiziere; ich konnte sehen, wie sie rauchten und lachten. Sie zeigten aus die im Hohlweg liegenden Leichen. Nur das Wort „Bayer" hörte ich deutlicher aus ihrem Gespräch heraus, und auch von den englischen Soldaten konnte ich dies Wort wiederholt vernehmen. Ich versuchte nun, vollends auf den Boden zu gelangen, mußte aber, um von den Engländern nicht gesehen zu werden, mich mit dem Oberkörper auf den Boden- belag legen und mich dann langsam hinaufziehen. Ich kroch nun vorsichtig bis ans Dach, um auf das Feld hinauszusehen: der Waldrand und das Feld waren bedeckt mit Seichen und Verwundeten deutscher und englischer Soldaten. Auf der anderen Seite des Hauses sperrte mannshohes Gestrüpp am Hohlweg die Aussicht. Ich fand Heu auf dem Boden, das ich mitnahm, um die Verwundeten darauf zu legen. Ich war gerade damit beschäftigt, ihnen einen Verband anzulegen, als wieder Engländer in die große Stube kamen. Auch diesmal sahen sie sich nicht im Haus um. Die ganze Nacht blieben sie drin. Erst als es zu dämmern anfing, holte jemand sie alle aus der Stube heraus. Wir hatten uns die ganze Nacht über nicht gerührt. Nnn kroch ich wieder die Leiter hinauf und konnte sehen, daß die Englänber sich am 2ba(b-ranb verteilten. Dann enblich verbanb ich die zwei Kameraden. Inzwischen schlugen in nächster Nähe des Hauses die deutschen Granaten ein, so daß das ganze Haus zitterte. Die Sprengstücke flogen durch das Dach in unseren Raum hinein. Das Artilleriefeuer würde immer stärker, auf einmal brach es ab, und nun setzte auf der englische« Seite ein Gewehr- und Maschinengewehrfeuer ein, das nervenaufpeitschenb war. So tatlos mußte ich zusehen, mußte basitzen, konnte nicht mithelfen, die Engländer unschädlich zu machen. Die Verwundeten fingen zu stöhnen an. „Wasser— Wasser, Kamerad." — „Seid nur ruhig, die Deutschen kommen, dann bekommt ihr zu trinken, nur^.ruhig liegen bleiben." — „Wirklich wahr? Kommen die Deutschen? Sieh doch noch mal nach!" Ich kletterte nun wieder auf den Boden und da sah ich die Deutschen am jenseitigen Waldrand hervorbrechen und näherkommen. Die Engländer liefen einzeln zurück. „Gott sei Dank!" Ich brachte den zwei Kameraden diese frohe Mitteilung. Von meinem Ausguck sah ich gespannt dem Gefecht weiter zu: geschlossene Abteilungen von 50—60 Mann kamen anmarschiert, schwärmten ans, um den Waldrand zu besetzen. Eine Maschinengewehrabteilung rückte im Marsch - Marsch an. Als ich dann an die Seite des Feldes kroch, mußte ich zu meinem Schrecken sehen, daß die Deutschen, die etwa bis zur Hälfte des Feldes vorgekommen waren, teils zurückkrochen, teils zurückschlichen, verfolgt vom Feuer der Engländer. So manchen Deutschen sah ich da fallen. Vorbei! Wer weiß, wann die Deutschen jetzt wieder einen Angriff machen! Wie schwer wurde es mir, das Ergebnis des Gefechtes den armen Verwunbeten mitzuteilen. Es war Allerheiligentag. Das Feuer, das eine Zeitlang ausgesetzt hatte, wurde stärker, und dann fing die beutsche Artillerie zu feuern an, daß das Haus bebte. Nun melbeten sich Hunger und Durst und würden immer stärker. Die armen Verwunbeten stöhnten und jammerten leise. Stimmen, die anfcheinenb ans dem Ziegenstall kamen, würden laut, dann Schritte und wieber kamen Englänber in die große Stube. Sie betrachteten ein mitgebrachtes beutsches Gewehr und einen Jägerhelm. Ich stctrtb nun wieder an der Tür, sah scharf hinaus, das Gewehr war schußfertig. Am Abend kamen noch mehr Engländer, die ihr Abendbrot einnahmen. Das Artilleriefeuer hatte nachgelassen, aber jetzt fing das Kleingewehrfeuer wieder an. Die Engländer ver-

5. Kriegsbuch für die Jugend und das Volk - S. 162

1916 - Stuttgart : Franckh
162 sich: „Wenn er jetzt die Hand nach dem Apparat ausstreckt, mußt du ihn niederschießen." Es lief ihm kalt über den Rücken. Dann raffte er sich zusammen. „Herr Bürgermeister, ich bin durch die Umstände gezwungen, Ihr Los an das meine zu ketten. — Joindre votre sort au mien," er sagte es ganz pathetisch, auf sehr französische Manier, wie ihm schien. „Glauben Sie sich imstande, uns aus der Stadt herauszuhelfen ?" Der andere spielte mit seinem Papiermesser. „Je tächerai,“ sagte er nach kurzem Besinnen, „ich will es versuchen." „Gut," schloß Varrendorf die Unterredung, „Sie werden mit niemand sprechen und uns im Notfall für Engländer ausgeben. Einstweilen muß ich Sie bitten, sich als meinen Gefangenen zu betrachten." Er bat um etwas Essen, bekam Brot und Schinken, dazu eine Flasche vorzüglichen weißen Bordeaux vorgesetzt. Durch das Fenster, das auf den Hof hinausging, konnte er sich überzeugen, daß auch feine Leute zu essen erhielten. Er kam zu ihnen hinunter, als sie gerade den Pferden die leeren Freßbeutel abschnallten, ließ sie antreten, sagte in kurzen Worten, wie es stand. Den braven Kerls blitzte die Kampf- und Abenteuerlust aus den Augen. „Herr Leitnant, jetzt fangt dös G'fpoaß erst richtig an!" meinte einer der Bayern. Varrendorf nickte ihm zu. Dann erschien der Bürgermeister, in Seidenhut und schwarzem Mantel, einen Stock mit elfenbeinernem Knauf in der Hand. Sie nahmen ihn in die Mitte, Varrendorf Hielt sich neben ihm. Helme und Tschapkas wurden auf die Packtaschen gebunden und die zerknitterten Feldmützen aufgestülpt: „Also, wir sind jetzt Engländer, merkt's euch!" So verließen sie den Rathaushof. Der au der Spitze reitende Vizewachtmeister wollte in eine breite, belebte Straße einbiegen. „Ii y a du danger, monsieur,“ sagte der Bürgermeister, stehenbleibend. „Dort liegen am jenseitigen Ende Kasernen. Wählen wir einen andern Weg." Sie bogen in eine enge Nebenstraße ein, die jener großen Verkehrsader parallel lief. „Hier kommen wir ungefährdet nach der Porte de D." Man hörte Musik näherkommen und vorüberziehen: die raschen, bewegten Rhythmen des „Sambre-et-Meuse“- Marsches brachen sich an den langen Häuserfronten einer ihren Weg rechtwinklig schneidenden Querstraße. Man sah, daß Militär vorüberzog. „Sie marschieren auf dem Boulevard," sagte der Bürgermeister. Das war die Straße, vor der sie der Bürgermeister gewarnt hatte. Sie kamen um eine Straßenbiegung und sahen in der Ferne die zwei dunklen Torbogen der Porte de D. vor sich liegen. Varrendorf fragte, ob das Tor etwa geschlossen sei. Der alte Herr verneinte: der Durchlaß mache im Wall eine Krümmung, deshalb erschienen die beiden Torbogen schwarz. Aber alsbald tauchte eine neue Sorge auf: in der linken Durchfahrt stand etwas Helles, noch tticht näher zu erkennen. „Wenn das man bloß keene Kanone ist," berlinerte Varrendorf zu seinen Leuten, die pflichtschuldigst lachten. Sie kamen näher und erkannten sogleich alle: es war natürlich eine Kanone. Für einen Augenblick verging ihnen das Sachen. Unterm Tor- bogen hielt ein Geschütz mit Bespannung, die Pferdeköpfe ihnen abgewandt; Leute waren nicht zu sehen. Die mählich zunehmende Dämmerung vereitelte eine genauere Feststellung. Varrendorf kommandierte ein leises „Halt". Ein Verdacht stieg in ihm auf; er sah den Bürgermeister an, tastete nach der Pistolentasche am Gurt. „Sehen Sie das Geschütz dort?" fragte er scharf. Der Bürgermeister nickte. Er sah in der Dämmerung noch blasser und kränker aus als vorher. Es gab ein kurzes Verhandeln. Der Franzose beteuerte feinen ehrlichen Willen, den deutschen Reitern aus der Stadt hinauszuhelfen, und Varrendorf konnte nicht anders, als ihm Glauben schenken r der Mann hatte sich bisher als so anständig und zuverlässig bewährt, daß man ihm nicht bei der ersten Schwierigkeit mißtrauen durfte. Wie weit es, bei Vermeidung der Porte de D., bis zum nächsten Tor sei? — Eine halbe Stunde, und belebte Straßen zu passieren. — Dann lieber nicht! Einen Augenblick noch blieb der Leutnant unschlüssig, dann hielt er auf einmal dem alten Herrn mit einer freimütigen Bewegung die Hand hin: „Ich danke Ihnen für Ihre gütige Hilfe, Herr Bürgermeister, danke Ihnen auch im Namen meiner Kameraden. Wir werden Ihnen das nicht vergessen. Ich brauche Sie nicht mehr, wir wollen Sie nicht zwecklos in Gefahr bringen. Ich versuche, mit meinen Soldaten hier herauszukommen." Und dann zu feinen Leuten gewandt: „Kerls, wir fitzen in einer verteufelten Patsche! Ihr seht alle dort das Geschütz; wo eines ist, werden noch mehr fein. Aber wir müssen durch. Die Dunkelheit wird uns helfen. Kein Wort gesprochen und ruhig im Schritt hinter mir her. Na, denn los!" Sie ritten wieder an, Varrendorf jetzt an der Spitze des Häufleins, näherten sich langsam dem Tor. Er hätte am liebsten laut gelacht, so bizarr und unwahrscheinlich mutete ihn die Begebenheit an. Dann ertappte er sich dabei, wie er allerlei Unsinn vor sich hinmurmelte: Junge, Junge, wenn das man bloß gut ausgeht! Dolle Sache, dolle Sache, würde mein alter Chef sagen. Zu schade, daß er nicht hier ist! — Auf einmal überlegte er wieder ganz kühl und fachlich: gefetzt, es stehen dort Offiziere oder Kerls — ich werde gut tun, ihnen „Good bye“ zu sagen. Das wird jeden etwaigen Verbacht zerstreuen. Unsre Mützen sehen schließlich doch nicht so ganz englisch aus. Wenn sie aber dann etwa eine Frage stellen, eine längere Unterhaltung Beginnen sollten . . . Die Konturen des Geschützes und seiner Bespannung traten schärfer hervor. Und plötzlich löste sich aus der grauen Masse die Form einer menschlichen Gestalt, lang und hager, flache Mütze auf dem Kopf, Pfeife im Munb. Ein Englänber^ unverkennbar. Der sah sich die siebzehn Reiter an . . . Die Deutschen Blickten gerabeaus in das Dunkel des Torbogens. Varrendorf legte grüßend die Hand an die Mütze. Im letzten Augen-Blick entschloß er sich, boch noch „Good bye“ zu sagen. Aber das Wort Blieb ihm im Halse stecken. Sie ritten vorüber, langsam, zu zweit neben-einanber. Der Englänber hatte bett Gruß er-wibert, lässig, aber nicht unhöflich; jetzt wanbte-er sich langsam ab. Sie müssen unsre Herzen klopfen und bröhnen hören unter bett Torbogen^

6. Kriegsbuch für die Jugend und das Volk - S. 116

1916 - Stuttgart : Franckh
116 rast. Seiber war das Brot im Beutel zu Eude, er mußte also fasten. Die Gäule rupften das Gras an den Rainen ab, und der Teckel fing sich eine Maus. Peter aber dachte nicht daran, die Vorräte im Wagen anzurühren. Niemand hatte ihm das erlaubt, und somit war es wohl verboten. Um sich durch eine Beschäftigung über den nagenden Hunger hinwegzutäuschen, wusch er dem Rotscheck während des Halts die Wunde an der Hüfte. Gegen Abend ratterte - ihm ein Motorradfahren entgegen. Peter fragte ihn nach feiner Kolonne und erhielt den Bescheid, sie liege dicht voraus in einer wichtigen Grenzbahnstation. „Dicht voraus," — Grins kannte die Wegmaße der Motorfahrer, und wirklich war es bereits tiefe Nacht, als er das Quartier erreichte. Der Ort war seltsamerweise heil geblieben; er war sogar taghell erleuchtet. Die großen elektrischen Bogenlampen brannten, und im Bahnhof ging es laut und lebhaft her. Gerade trat der Rittmeister aus der Tür. „Je, Grins," rief er, „da find Sie ja wieder! Morgen wollten wir Sie holen, heut war's beim besten Willen nicht möglich. Die Gäule waren zu kaput." Erst jetzt bemerkte er das gescheckte Pferdchen „Nanu?" staunte er. „Das ist doch ein Kosakenpferd?" „Zu Befehl, Herr Rittmeister. Der Kosak dazu hat sich mir ergeben." „Alle Wetter, ein Gefangener? Wo ist er denn?" „Ich hab' ihn umgebracht, Herr Rittmeister." „Mensch, sind Sie des Deiwels?!" Peter erzählte. „Der Manu war soweit gar nicht garstig, Herr Rittmeister," schloß er, „aber als ich sah, wie er mit dem Pferdchen umging, — da konnt' ich nicht anders." Der Rittmeister nickte: „Das versteh' ich, Grins." „Werd' ich nun bestraft, Herr Rittmeister?" „Gott bewahre, Gott bewahre!" „Danke gehorsamst, Herr Rittmeister." Peter machte kehrt und ging. Bei der Wen- dung wurde es ihm mit einem Male flau, und er taumelte. „Was haben Sie denn, Grins?" fragte der Offizier. „Sie sehen ja käsweiß aus!" „Hunger hab' ich, Herr Rittmeister. Ich hab’ heut früh ganz zeitig das Letzte gegessen." „Und Sie fahren den Lebensmittelwagen!" „Herr Rittmeister verzeihen, ich dachte, die Vorräte find für die ganze Kolonne und nicht für einen Einzelnen." „So? Dachten Sie? Na, immerhin. — — Aber es war ganz recht so, Grins. Und nun machen Sie voran! Heut sind wir mal fein, heut essen wir warm. Drüben im Bahnhof, Schweinefleisch mit Sauerkohl. Lassen Sie sich's schmecken!" „Zu Befehl, Herr Rittmeister." Die Schwäche war schon überwunden. Darum fuhr Peter erst seinen Wagen auf den Parkplatz und richtete ihn ordentlich aus. Dann brachte er fein Gespann in den leeren Lagerschuppen, der als Stall diente. Raum und Stroh waren reichlich vorhanden, und der Schimmel vertrug sich mit dem Rotscheck schon ganz gut. Eine Weile daraus erblickte der Rittmeister abermals den Peter Grins mit einem Büchschen in der Haiti). „Na, hat's geschmeckt?" fragte er ihn. „Herr Rittmeister verzeihen, ich hab' noch nicht gegessen." ,Jch hab's Ihnen doch aber befohlen! Was haben wir ixttion, wenn Sie schlapp werden?" Peter riß sich zusammen. Schelte konnte er nicht gut vertragen, so elend, wie ihm vor Hunger uno Müdigkeit zumute war. Aber er brachte die Antwort ganz ordentlich heraus: „Herr Rittmeister verzeihen, der Doktor hat mir eine Salbe gegeben, die will ich dem Pferdchen erst auf die Hüftwunde streichen." Und schwerfällig, mit schleppenden Füßen, schritt er nach dem Stall. Der Rittmeister schaute hinter ihm drein. „Einer wie der andere!" brummte er. „Von rechtswegen müßte man jeden von den Kerls hernehmen und rechts und links abküssen." Diese Erzählung ist dem Sammelband „Deutschland, heil'ges Vaterland" von Beyerlein, Verlag von E. Salzer, Heilbronn, Preis in Lwd. geb. M 1.—, entnommen. □ □

7. Kriegsbuch für die Jugend und das Volk - S. 146

1916 - Stuttgart : Franckh
146 auch hart — immer muß ich an die treuen Tiere denken. Und an die Rehe im Wald. Wer wird sie im Winter hegen?" Der Reservist Zellner, sonst ein ausgelegter Mensch, sagte kein Wort. Was sollte er sagen? Er ist nur ein armer Knecht, und seine Mutter lebt nicht mehr. Und er ist fast froh, daß sie um ihren Buben das nicht mehr erleben mußte, dieses Ungeheure, Grausame, Fürchterliche, das die Leute Krieg nennen. „Ich weiß nicht, wie mir ist," sagt Der Fünfte, der Kriegsfreiwillige. „Ich bin ein Dichter. Was liegt mir am Leben? Ich habe bis jetzt nur dann und wann ein paar Verse gemacht und doch gemeint, was das sei! Wie klein und dumm und lächerlich ist's gegen das Große, das wir jetzt erleben. Das wächst und blüht mir im Herzen wie ein Baum, der einmal Früchte bringen wird, die ich an die Menschen verschwenden möchte. Das gärt und sprudelt in mir wie eine Quelle von mächtigem Drang. Seht, Kameraden, das möchte ich noch erleben: wie diese Quelle zum Strom wird, der die .Herzen mitreißt, der durch alle Welten brandet, Freund und Feind verbrüdert —" „Das Licht!" schreit der Gefreite. Und alle starren wieder auf das karge Ker-zenstümplein, das sich selbst verzehrt. Es ist nicht großer mehr als eine dünne, schmale Oblate. Der Dochtsaden krümmt und windet sich wie ein Wurm, der sich seines armen Lebens wehrt. Aller Augen starren auf das verlöschende Licht. Alle denken: Jetzt, jetzt, jetzt . . . Am jenseitigen Hange der Somme steht auf regenrauschender Höhe ein englisches Schiffsgeschütz, Kaliber 21 Zentimeter. Die Mündung starrt drohend in die Nacht. Ein paar dunkle Gestalten machen sich daran zu schaffen. Der Verschluß flirrt, die Mündung schwankt in feurigem Schwall. Auf wahllosem Wege wandert die Granate hoch über den Abendnebel. Die Winde weichen ihr ans ober werden von ihr zur Seite geschleudert. Mit Hall und Schall saust sie dahin, klettert feurig in die Wolkenhöhen der Regennacht, neigt sich leicht im Gürtel ihrer Bahn, gleitet, fällt, stürzt, wahllos — wohin? Fünf Gesichter starren auf den verlöschenden Schein einer kargen Kerze, die nicht mehr größer ist denn eine Oblate, von der verflackernden Flamme im Sterben genossen. Alle denken: Jetzt, jetzt, jetzt .... Da stürzt eine neue, dunkle Flamme durch die berstende Eindeckung, ein Giftwind raubt den Atem und lähmt fünf lehmgelbe Feldgraue. Das ist ein Grauen in den Augen, ein entsetztes Starren aus den Eindringling. Der Lehrer denkt noch: „Hundert Kinder hab' ich, hundert blonde, pausbackige —" Der Holzhauer: „Fünf Kinder und eine kranke Frau —" Der Forstmann: „Zwei Hunde und hungernde Schmaltiere daheim im Winterwald —" Der arme Knecht: „Mein Mutterl, mein Mutterl —" Der Kriegsfreiwillige: „Weh, daß ich die Welt nicht mehr verbrüdern kann !" Mit entgeisterten Gesichtern starren sie auf das pfauchende Ding. „Wenn's ein Blindgänger wär'!" stammelt noch heimliche Hoffnung. Da faust die Granate schon in den Lehm, - wum — rrr............ Schwarzer Rauch wirbelt, Feuer fliegt, Wellblech, Balken, Pflöcke splittern und bersten, Stein und Stahl stürzt heiß mit gelben Lehmmassen aus die Fünf. Und dann ist's still. Und dann huschen dunkle Gestalten heran, schaufeln atemlos, werfen Trümmer fort, horchen atemlos, schaufeln und werfen. Ein Fluch löst sich aus der dunklen Gruppe der Schaufelnden, ein Fluch, der wie ein Gebet ist. — — — Hinten in Herbecourt sitzt der Kompagnie-Feldwebel in seinem Zimmer. Im Hofe dampft die Feldküche. Da kommt der Gefreite Funk, steht stramm, legt fünf Erkennungsmarken auf den Tisch neben das Glas Rotwein und wartet auf die Frage des Feldwebels: „Was ist los?" „Granatvolltreffer!" meldet der Gefreite, macht Kehrt und wandert wieder hinaus in die Stellung vor dem Granatwäldchen. Und der Feldwebel schlägt die Stammrolle-auf, sucht die Namen Und schreibt dahinter: „Gefallen 15. 11. 15. Granatvolltreffer." Dann trinkt er den Wein ans, wickelt sich in die Decke und starrt in die knisternde Glut des-Kaminfeuers. Und denkt an die Briefe, die er morgen wieder schreiben muß. Wie viele hat er schon geschrieben! Briefe, die anfangen, mit: „Erschrecken Sie nicht, liebe Frau —" oder: „Es ist mir eine traurige Pflicht —" oder: „Zu meinem tiefsten Bedauern muß ich Sie leider von dem Heldentode Ihres Sohnes benachrichtigen —" Soviel solche Briefe hat er schon geschrieben, daß er gar nicht mehr weiß, wie er sich immer neu ausdrücken soll. Und morgen muß er gerade von fünf seiner Besten traurige Kunde senden.

8. Neue Zeit - S. 124

1897 - Stuttgart : Neff
124 Paris mit Umgegend und einigen anderen Städten. Als Staats- bürger wurden sie den Katholiken gleichgestellt; sie er- hielten für den Norden eigene Kammern in den Parlamenten von Paris, für den Süden mehrere chambres mi-parties. Sie blieben ein Staat im Staate durch das Recht, periodische Versammlungen nach Art der états généraux abzuhalten, noch mehr dadurch, dass sie Sicherheitsplätze, u. a. La Rochelle, einst- weilen behielten. Dieses Edikt fand Missfallen und Widerstreben bei den eifrigen Hugenotten, wie bei den Katholiken, insbesondere den Parlamenten. Heinrich begünstigte den Uebertritt von Huge- notten zur alten Kirche und derartige Konvertiten grundsätzlich. Die Jesuiten, die infolge eines Attentats auf den König 1594 vertrieben worden waren, Hess er 1603 wieder zu und begünstigte sie, unter Ausschluss von Spaniern und Italienern, als wertvolle politische Werkzeuge. Die sittliche und geistige Kraft der katho- lischen Kirche erhöhte der König, indem er im allgemeinen die Bischofssitze mit würdigen und hervorragenden Persönlichkeiten besetzte. Kapitel Xii. Deutschland 1555—1600. § 42. Deutschland unter Ferdinand I. und Maximilian Ii. Maehtverhältnisse der Religionsparteien. In der Or- ganisation des Reichs sicherte das katholische Bekenntnis der Kaiser und deren Zugehörigkeit zum Haus Oesterreich, noch mehr das Uebergewicht der geistlichen Stimmen im Fürstenrat dem Katholizismus ein Ueberge wicht. Unter den weltlichen Territorien überwogen aber schon 1555 die protestantischen in Norddeutschland entschieden : Kurbrandenburg, Kursachsen und Herzogtum Sachsen, Anhalt, Lauenburg, Mecklenburg, Pommern und schon zwei der welfischen Linien; in Nord Westdeutschland gab es nur noch ein katholisches Fürstenhaus, das von .Jülich-Cleve, und sein Verbleiben beim alten Glauben war längere Zeit unsicher. Auch in Süddeutschland überwogen die protestan- tischen Fürsten der Zahl nach: Kurpfalz und alle pfäl- zischen Nebenlinien, Brandenburg-Ansbach und Kulmbach, Würt- temberg, Baden-Durlach und Baden-Baden, aber die zwei

9. Illustrierte Geographie und Geschichte von Württemberg - S. 8

1901 - Stuttgart : Lung
dem „schwäbischen Städtebund" vereinigt. Weil Eberhard diesem Bund nicht gegen den oberschwäbischen Adel beigestanden war, fielen die Städter ins südliche Württemberg ein, sengend und plündernd. Eberhard zog durchs Filsthal hinauf gegen sie, während sein Sohn Ulrich von der Achalm aus die Rentlinger im Auge behalten sollte. Am 14. Mai 1377 machten aber dennoch 700 Rentlinger einen nächtlichen Raubzug ins Uracher Thal, führten 250 Stück Rindvieh aus dem Uracher Tiergarten weg und brannten Dettingen nieder. Ulrich erwartete sie mit 232 Rittern bei der Leonhardskapelle,„wurde aber aus der Stadt Reutlingen im Rücken ange- griffen und mußte der Übermacht weichen. Ulrich verlor 78 Ritter und das Banner; er selbst entkam schwer verwundet mit dem Rest seiner Schar auf die Achalm. Als Ulrich fpäter feinen Vater in Stuttgart besuchte, soll dieser schweigend das Tischtuch zwischen sich und seinem Sohn zerschnitten haben, zum Zeichen/daß ein solcher Sohn nicht wert sei, mit dem unbesiegten Vater an einem Tische zu speisen. Gras Eberhard der Tremer und sein Zohn Ulrich nach der Achlacht bei Reutlingen. Die schwäbischen Städter, dnrch diesen und einen andern in der Schweiz er- sochtenen Sieg noch übermütiger geworden, vereinigten sich mit dem rheinischen Stadtebnnd, um ihren Todfeind Eberhard zu vernichten. Dieser sah sich daher genötigt, mit vielen Rittern und Grafen den Löwen bund zu schließen. Unter Anführung des Ulmer Hauptmanns Besserer zogen die Städter 1388 verheerend durch Württemberg und belagerten schließlich mit 800 Reitern und 2000 Fußgängern den befestigten Kirchhof zu Döffingen, in welchen sich eine Schar von Eberhards Leuten

10. Illustrierte Geographie und Geschichte von Württemberg - S. 19

1901 - Stuttgart : Lung
— 19 — Erwerbungen: Groß-und Kleinsachsenheim, Metterzimmern, Steinheim a. d. M., Seeburg, Fleinheim, Obersielmingen, Dürrwangen, Binswangen. Ludwig der Fromme (1568—1593), Sohn Christophs, war ein gutmütiger, aber schwacher Mann. Er beschäftigte sich viel mit frommen Übungen und Büchern, liebte aber daneben auch Trunk, Jagd und Theater, so daß ihm für die Regiernngsgeschäste wenig Zeit übrig blieb. Das Collegium illustre, eine Bildungsanstalt für weltliche Staats- diener in Tübingen (das heutige katholische Konvikt), sowie das frühere Lusthaus in Stuttgart (au Stelle des jetzigen Theaters) verdanken ihm ihre Entstehung. 1583 schenkte er dem Lande das erste evangelische Gesangbuch; das Lied 596 im heutigen Gesangbuch hat ihn zum Verfasser. Erwerbungen: Mehrere Dörfer auf Ludwig, der Alb und im Gäu. Friedrich 1 (1593—1608), Sohn des Grafen Georg von Mömpel- gard, des Bruders Herzog Ulrichs (vergl. S. 18), war ein talentvoller und thatkrästiger, zugleich aber auch hochfahrender, eigensinniger, herrsch- süchtiger und prachtliebender Fürst, der sich gegeu die Einschränkung seiner Regentenrechte durch die Landstände und die alten Verträge aus allen Kräften sträubte und namentlich an dem ihm unbequemen Tübinger Bertrag beständig rüttelte. ; V Vergoldete Nedaille aus -Silber aus dem Jahre \602 mit dem Bildnisse Herzog Friedrichs I.
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